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Ländlicher Raum und Alternativen

Ländlicher Raum - alternativer Lebensraum mit eigenen Qualitäten

Oft wird vom „ländlichen Raum“ als Problemfall berichtet, der vor allem hinsichtlich Infrastruktur (Verkehr, Kultur, soziale und medizinische Versorgung, Konsum etc.) hinter städtischen Räumen zurückliegt. Er scheint zum Problem zu werden, wenn es um gleichwertige Lebensverhältnisse – ein Verfassungsauftrag – geht. Dabei wird nicht selten vergessen, dass ländliche und städtische Lebensräume jeweils ihre ganz eigenen Qualitäten und Probleme haben. Wer auf dem Land lebt, hat in der Regel weniger Lärm, weniger Feinstaub, weniger Kriminalität, weniger Armut, weniger soziale Isolation, niedrigere Mieten. Natürlich zahlt man dafür auch einen Preis, z. B. längere Wege zu bestimmten Dienstleistungen bei zugleich weniger dichtem ÖPNV. Wenn man das Leben auf dem Land als eigenständige und wertvolle Lebensweise betrachtet, dann muss und kann man hinsichtlich der Infrastruktur auch Abstriche machen – umso mehr, als mit der Digitalisierung auch neue Möglichkeiten eröffnet werden. Das betrifft z. B. die Mobilität oder ärztliche Versorgung. Natürlich aber hat der ländliche Raum auch eigene Herausforderungen, insbesondere die Land- und Energiewirtschaft. Auf einige dieser Punkte soll im Folgenden eingegangen werden – aber immer mit dem doppelten Hintergrund, dass zum einen der ländliche Lebensraum seine eigenen Qualitäten hat, für die man auch gern einen Preis zahlt, zum anderen, dass ich nicht auf allen Gebieten, auf die ich mich im Folgenden begebe, Experte bin. Es werden manchmal nur Anregungen sein, in neue Richtungen zu denken, wobei mein Ansatz immer ein systemischer sein wird und mein besonderer Blick immer der, welche neuen Möglichkeiten die digitale Revolution über kurz oder lang eröffnet.

Gesundheitsversorgung

Im ländlichen Raum schließen Arztpraxen. Es finden sich zu wenig neue Ärzte, die aufs Land ziehen und dort praktizieren wollen. Das ist in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg sicher ein viel größeres Problem, als in Sachsen. Aber es ist vor allem für ältere Menschen auch in Sachsen ein Problem. Eines ist dabei sicher: Die Anzahl der niedergelassenen Ärzte und damit der Praxen auf dem Land wird abnehmen. Was sind die Alternativen oder Lösungen, damit trotzdem die gesundheitliche Versorgung gesichert bleibt und sich sogar verbessert?

Zunächst – und das haben wohl mittlerweile alle Parteien auf dem Schirm – müssen mehr Anreize für Ärzte geschaffen werden, sich fernab der Ballungsräume niederzulassen. Das können z. B. Sonderstipendien sein, die zurückzuzahlen sind, wenn man nach dem Abschluss nicht aufs Land geht. Das müssen aber auch andere Vergütungssätze der Kassen sein, die z. B. auch Hausbesuche oder den Betrieb mehrerer und/oder mobiler Praxen ökonomisch attraktiv gestalten. Kommunen könnten z. B. Praxen ohne Nachfolger aufkaufen und als Außenstelle Ärzten anbieten. Kommunen können natürlich auch mit günstigen Immobilien und anderen Anreizen locken.

Grundsätzlich aber wird es so oder so nicht möglich sein, in jedem Ort eine Praxis vorzuhalten: So krank ist auch die alte Bevölkerung zum Glück nicht, als dass sich das irgendwie für einen Arzt rechnen könnte. Es wird das Problem bleiben, dass gerade ältere Menschen und gerade dann, wenn ihre Mobilität eingeschränkt ist, vor Ort keinen Arzt haben werden, von Fachärzten erst gar nicht zu reden.

Lösungen bietet die digitale Revolution, indem „Telemedizin“ überall verfügbar sein könnte. Aber das nicht nur als Kommunikation via Kabel, sondern im Verein mit einem Menschen vor Ort. Denn ärztliche Betreuung hat immer einen menschlichen Faktor, der oft unterschätzt wird (z. B. von den Kassen, die viel zu wenig und zu schlecht das Arzt-Patienten-Gespräch bezahlen). Die Idee ist, dass es in den ländlichen Regionen Gemeindeschwestern gibt, die in temporären Praxen Sprechstunden abhalten und Hausbesuche machen. Dabei sind sie mit Ärzten (auch Fachärzten) digital medial verbunden. So kann also bei Bedarf der (Fach)Arzt mit Unterstützung der Schwester mit dem Patienten sprechen, Diagnosen und Therapien stellen. Die Schwester kann dazu auch Blut- oder andere Proben abnehmen, einfache Untersuchungen und therapeutische Maßnahmen vornehmen, Überweisungen, Rezepte, Bescheinigungen und Atteste des Arztes über eine sichere Verbindung vor Ort ausstellen. – Und wenn es notwendig ist, dann wird ein Termin für einen Arztbesuch vereinbart – entweder in der entfernten Praxis des Arztes oder  (in der Poliklinik) beim Facharzt oder auch im Krankenhaus. Und auch bei der Organisation des Transportes hilft die Gemeindeschwester. Natürlich braucht dieses System auch eine entsprechende Finanzierung – und deshalb auch politisches Handeln.

Es gibt Nebeneffekte solch virtueller Sprechstunden, die auch ohne Schwester möglich sein sollten und auch in den Ballungsräumen oder wo es die Praxen vor Ort noch gibt: Bei vielen kleinen Erkrankungen oder ärztlichen Anfragen muss man nicht mehr zum Arzt mit langen Wartezeiten, Arbeits- und Schulausfallzeiten, Ansteckungsgefahr – man kann das online erledigen und klären, wo man wirklich vorstellig werden muss. Das könnte nicht nur die Kassen entlasten, um damit die intensivere, ggf. virtuelle Betreuung zu sichern, sondern verschafft auch den Ärzten die nötige Zeit. 

Ein generelles Wort zu Gesundheit und Krankenversorgung (Medizin), weil ein weites Feld nur in Form von kurzen Einlassungen:

  1. Ernährung und positive soziale Beziehungen sind die wichtigsten Quellen für Gesundheit und gesundes Altern. Das wird zunehmend nicht nur physiologisch sondern auch neurobiologisch immer weiter untersetzt. Trotzdem greift Politik z. B. in der Lebensmittelindustrie nicht steuernd ein. Das ist z. B. einer der Tatbestände, wo Gewinne privatisiert und die Kosten vergesellschaftet werden. Hinsichtlich der psychischen Gesundheit, die genauso wichtig wie eine gesunde Ernährung ist, kommt vor allem der Schule als der Institution, die alle jungen Menschen erreicht, eine Rolle zu, für die sie heute nicht vorbereitet ist, die aber zum neuen Bildungsauftrag gehört.
  2. Die praktische Medizin arbeitet nach wie vor eher symptomatisch als systemisch. Man kann dies leicht an der Menge der verschriebenen Schmerzmittel, Psychopharmaka oder Betablockern auch faktisch ablesen. Zu oft führt die ärztliche Intervention nicht zur Gesundheit, sondern zur dauerhaften Medikation.
  3. In der Medizin ist der Auftraggeber auch der Leistungserbringer. Patienten haben oft nicht die Kompetenz, eine vorgeschlagene Therapie zu bewerten. Das kann zu Fehlorientierungen von Ärzten und Krankenhäusern führen, ohne dass böse Absicht oder Bereicherungssucht dahinter steht. Ein privates Beispiel: Ich habe vier Bypässe. Im Nachhinein zeigte sich, dass ich längst genug natürliche Bypässe ausgebildet hatte (die Durchblutung war vor und nach den Arterienverschlüssen gleich gut). Die OP war überflüssig. Dahinter steht allerdings eine Theorie des Infarktes, die meinen überhaupt nicht erklären konnte („Sie hätten keinen bekommen dürfen.“). Und dahinter steht, dass die Therapie eines Infarktes eigentlich viel billiger sein könnte, auch was die (Dauer)Medikation betrifft.
  4. Die Pharmaindustrie spielt eine viel zu große Rolle im Gesundheitssystem. Als Industrie muss sie ein Interesse an Absatz und damit Umsatz haben. Das Interesse der ärztlichen Versorgung und Behandlung müsste gerade in der Minimierung des Medikamenteneinsatzes durch erfolgreiche Therapie liegen. So wird in meinem Fall das lange bekannte und systemisch wirkende und nebenwirkungsfreie Strophantin geächtet (billig herzustellen aus Samen einer Lianenart, nicht patentierbar) und durch eine Vielzahl teurer und nur symptomatisch wirkender Dauermedikamente ersetzt. Ein erster Schritt, um diese falsche Motivation zu dämpfen, wäre ein Verbot der Drittmittelfinanzierung durch die Pharmaindustrie – und damit natürlich die Übernahme der Finanzierung durch die öffentliche Hand. Im Falle der Pharma- und Lebensmittelindustrie wäre eine strikte Trennung von Forschung und Produktion vielleicht angezeigt. Und wenn die hohen Gewinnmarchen nicht über Forschungsinvestitionen steuerlich wirkungslos werden, dann steigen die Steuereinnahmen zur teilweisen Refinanzierung der Forschung, an der sich auch die Kassen beteiligen können und sollen – nicht nur mit eigenem Geld, sondern als maßgeblicher Empfänger der staatlichen Forschungszuschüsse, die dann als Drittmittel über die Kassen in die Unis, Institute und Kliniken fließen.

Mobilität

Der Schwerpunkt bei der Mobilität im ländlichen Raum liegt sicher auf dem Problem der Erreichbarkeit und da auf dem des ÖPNV. Im Grund geht es dabei aber ganz allgemein darum, wie schnell und zu welchen Zeiten man seinen Wohnort erreichen oder verlassen kann – und das meist in Richtung der nächsten Stadt – und das auch vor dem Hintergrund, dass es im Wohnort nicht mehr alle Infrastruktur gibt.

Ein anderer Schwerpunkt der Mobilität ist aber auch die Frage, wie ökologisch sie sich gestalten lässt. Das überlappt sich dann auch mit dem Thema „Energie“.

Bleiben wir beim ÖPNV: In der herkömmlichen Form (im wesentlichen Bus und Bahn) wird es immer schwieriger, den ländlichen in einem komfortablen Takt (ein bis zwei Stunden) zu erschließen. Die Grenzen liegen im Ökonomischen und Ökologischen. Busse und Bahnen, die halb oder nahezu leer sind, sind nicht nur teuer, sondern belasten die Umwelt weit mehr, als wenn das Auto benutzt wird, jedenfalls im entfernteren Bereich der Städte und Ballungsräume. Weil das so ist, benutzen auch viele, die es können, das Auto – mit der Folge, dass der herkömmliche ÖPNV immer teurer und unattraktiver wird. Ein circulus vitiosus der am Ende zu einer Entmischung der Nutzer des ÖPNV führt: es sind SchülerInnen (der größte ökonomische Faktor) Alte und Arme. Und damit trägt der herkömmliche ÖPNV gerade auf dem Land (abgesehen vom Schülerverkehr) zur sozialen Spaltung der Gesellschaft mit bei.

Gibt es Alternativen, vielleicht auch mit der digitalen Revolution? Ja, natürlich – und zwar im Wesentlichen zwei:

  1. Vernetzung privater und öffentlicher Personenverkehr.
    Da ich auf dem Land wohne, hatte ich auch schon vor dreißig Jahren beobachtet, wie die Busse außerhalb des Schülerverkehrs oft mit ein oder zwei Personen (Fahrer mitgezählt) die letzten vier Stationen anfuhren. Ich fuhr jeden Tag nach Dresden, und hatte Plätze im Auto frei. Warum, so mein Gedanke, könnte man nicht privaten und öffentlichen Personenverkehr vernetzen: An den Haltestellen werden Ruftasten eingerichtet. Geprüfte private Fahrer, die sich am Projekt beteiligen, erhalten ein mobiles Gerät, in dem der Ruf eingeht – abhängig von der Entfernung. Wer dann den Annahmeknopf betätigt, nimmt die Person mit. Umständlich – damals gab es noch gar keine Smartphones und schon gar nicht hatte jeder eins. Heute ließe sich diese Vernetzung über eine webbasierte App komfortabel und einfach einrichten. An den Haltestellen könnte es trotzdem noch Rufknöpfe geben – aber grundsätzlich wäre niemand auf die Haltestelle angewiesen. Natürlich ist die Sache nicht unproblematisch: Was passiert mit den Taxi-Unternehmen (gehen die alle pleite)? Was ist mit Haftungsfragen? Wie sichert man die Sicherheit der Insassen? Macht man damit den privaten Verkehr noch attraktiver und verstopfen dadurch die Städte noch mehr? Also: es ist sicher eine Alternative, aber es gäbe eine Menge zu bedenken. Eingeschränkt auf den peripheren ländlichen Raum könnte sie aber die Mobilität eines jetzt eher abgehängten Teils der Bevölkerung und dabei sogar auch noch die Öko-Bilanz verbessern.
  2. Autonomer ÖPNV.
    Was soll das sein? Eine nachhaltige Lösung, wie sie die digitale Revolution zur Verfügung stellen wird: Wenn das autonome Fahren sicher und ökonomisch geworden ist (und das ist nur eine Frage der Zeit), dann wäre dies die nachhaltige Lösung für das Mobilitätsproblem auf dem Land. Ich bestelle mir dann ein in der Nähe parkendes Mobil und das bringt mich (und vielleicht noch andere, die es ebenfalls gerufen haben) zum nächsten Knoten, wo ich in einen autonomen Bus oder eine autonome Bahn umsteige. Oder es ist so konstruiert, dass es sich mit anderen kleineren zu einem großen verkoppelt. Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Politik hätte hier aber die Aufgabe, autonomes Fahren nicht im privaten Bereich zu fördern, sondern im öffentlichen – und dadurch auch die Hersteller auf diese Bedürfnisse zu orientieren und einen Markt zu erschließen, der die Investitionen lohnt.

Die Frage der Antriebe und damit nach der Ökologie. Das ist ja der zweite Aspekt der Mobilität. Zunächst könnten längst viel mehr Stadtbusse mit Elektromotoren fahren und würden damit auch die Luft in den Städten verbessern. Das Ladeproblem könnte man mit Plug-in-Batterien lösen, indem der Bus ab und an an der Endhaltestelle einfach die Batterie wechselt, die dort wieder aufgeladen wird, während er schon weiter fährt. Man könnte auch – um die massenhafte Aufrüstung mit Batterien (die ökologisch nicht unbedenklich sind) zu vermeiden, auch über Induktionsantriebe nachdenken. Dazu müssten die Hauptverkehrswege aufgeschnitten und mit Stromleitungen bestückt werden. Sicher eine Alternative zu Oberleitungs-Bussen, welche grundsätzlich auch eine Alternative wären. Es braucht auf diesem Gebiet aber so oder so mehr politisches Engagement, um Prozesse zu starten, die Anschubimpulse und -unterstützung benötigen. Vor allem ist es nötig, bei den technischen Innovationen nicht hauptsächlich den privat genutzten PKW im Blick zu haben. Hier ist Politik auch und gerade im Autoland Sachsen gefragt.

Ein Wort noch zu den Batterien und der E-Mobilität. Mobilität, die auf batteriegespeiste Motoren setzt, ist nicht nachhaltig: Zum einen verbraucht die Produktion von Batterien selbst knappe Ressourcen und forciert die Ausbeutung von Mensch und Natur in anderen Ländern und Regionen (auf deren Kosten wir also weiter das Wohlstandsgefälle zu unseren Gunsten ausbauen). Zum anderen ist die Reichweite solcher Antriebe  begrenzt – und die Mobilität eingeschränkt, wenn man keine Plug-in-Systeme verwendet. Gibt es hier Alternativen? Ja. sie heißen Wasserstoff und Brennstoffzelle.

Was wären die Vorteile? Zum einen könnte die Wasserstoffproduktion mit den heute nicht nutzbaren Spitzen/Überschüssen aus Wind- und Solarstrom gespeist werden. Wasserstoff wäre ein guter chemischer Speicher für diese Energie. Es würde also immer nur die Energie in Wasserstoff umgewandelt, die im Netz verfügbar ist – nicht wie beim Aufladen von Batterien (und man muss sich die Dimension vorstellen, wenn alle Autos mit Batterien fahren würden), wo man das weder steuern kann noch zu günstigen Zeiten des Stromüberschusses hat. Zum anderen ist Wasserstoff schnell getankt (und man könnte wohl auch die vorhandene Leitungsinfrastruktur für Gas verwenden) und eine Brennstoffzelle effektiv. ABER: Brennstoffzellen sind heute noch nicht ausgereift. Es bedürfte auch hier der Unterstützung in Forschung und Entwicklung (nicht nur der Brennstoffzellen, sondern auch der effektiven Gewinnung von Wasserstoff und vor allem hinsichtlich von effektiver Lagerung und Transport) – und des Aufbaus der entsprechenden Infrastruktur. Im Grunde ist das Brennstoffzellen-Auto auch ein E-Mobil. Insofern ist die Forschung und Entwicklung in dieser Hinsicht nicht umsonst und kann weiter genutzt werden. Nur es sollte uns klar sein, dass Batterien als Energiequellen keine nachhaltige Alternative zu Verbrennungsmotoren darstellen.